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Titel
Gendering Terror. Eine Geschlechtergeschichte des Linksterrorismus in der Schweiz


Autor(en)
Grisard, Dominique
Reihe
Politik der Geschlechterverhältnisse 44
Erschienen
Frankfurt am Main 2010: Campus Verlag
Anzahl Seiten
345 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Alexandra Locher, Geschichte der Neuzeit (Historisches Seminar), Universität Zürich

Die Schweiz war in den 1970er Jahren nur am Rande vom sozialrevolutionären Terrorismus betroffen. Da sich Dominique Grisard aber in ihrer 2011 erschienenen, auf ihrer Dissertation basierenden Studie «Gendering Terror» auf die «enträumlichende und entzeitlichende Wirkung von Kommunikation» (S. 280) bezieht, lässt sich in der Schweiz die diskursive Konstruktion einer terroristischen Bedrohungslage veranschaulichen. Ziel ist es, die Bedrohungswahrnehmung mit den sich im Zuge der gesellschaftlichen Aufbrüche um und nach 1968 wandelnden Geschlechterverhältnissen zu verknüpfen. Die Arbeit ist in Einleitungs-, Haupt- und Schlussteil unterteilt und basiert auf einem heterogenen Quellenkorpus (1970–1983), der hauptsächlich zu vier «Terroristenfällen» in der Schweiz Auskunft gibt.

In der Einleitung legt die Autorin die machtkonstituierenden Verknüpfungen von Terrorismus und Geschlecht auf personaler, institutioneller und symbolischer Ebene dar. Grisard denkt dabei den privaten Raum als «konstitutiven Teil des Terrorismusphänomens» (S. 13f.) mit und will so die durch den bürgerlichen Geschlechterdiskurs erfolgte Trennung von Öffentlichkeit und Privatraum überwinden. Allerdings gilt ihr Interesse nicht dem Terrorismus selbst, vielmehr dessen macht- und ordnungsver(un)sichernder Wirkung. Während die Forschung den Schwerpunkt auf die Untersuchung des «Fremden» legt, möchte Grisard die Stärkung des «Eigenen» gegenüber dem «Anderen» durch Selbstaffirmierung untersuchen, was sie überzeugend umsetzt. Grisard knüpft an aktueller Forschung an, die den Terrorismusdiskurs als triadische Konstellation von «‘Protagonisten, Antagonisten und Zuschauern’» (S. 30) versteht. Auf der Basis des «foucaultschen Verständnis[ses] von Diskurs als Macht-Wissens-Komplex» (S. 33) analysiert sie sieben im Hauptteil des Buches untersuchte Diskursfelder. Diese werden in sieben Kapiteln abgehandelt, zwei davon werde ich ausführlicher besprechen.

Während das erste Kapitel Terrorismus mittels Ursprungserklärungen aus Wissenschaft und Medien als Wissensobjekt konstituiert, untersucht das zweite Kapitel die mediale Darstellung von Terrorismus als Diskursereignis. Das dritte Kapitel zum Thema Strafrecht und Gerichtspraxis analysiert auf der Basis von Strafverfahren und Beschwerden, wie Angeklagte im Strafrechtsdiskurs in geschlechtertypisierende Erzählungen eingebunden wurden. Während der Weg einer Frau in den Terrorismus als von «psychologische[n] Schlüsselereignisse[n]» (S. 144) oder Kontakten mit Männern abhängig dargestellt wurde, war männlicher Terrorismus in der justiziellen Wahrnehmung ein durch «Milieuschäden» hervorgerufener Irrweg einer zur Mannwerdung gehörenden Politisierung. Die Betroffenen versuchte man durch eine Feminisierung in den Gerichtsurteilen zu disziplinieren und damit die «Figur des Staatsbürgers» (S. 146) zu stabilisieren. Aufgrund fehlender expliziter Normen gegen den Terrorismus wurden terroristische Attentate in der Schweiz als Staatsschutzdelikte, Sprengstoffdelikte und Entführungen geahndet. Während die Gesetzesgrundlagen der ersten beiden Deliktarten politischen Charakter besassen, bezog sich der Straftatbestand der Entführung in der Schweiz bis dahin lediglich auf Frauen und Kinder. Bei Männern fiel er hingegen unter Nötigung. Dies ist eine der Stellen, an denen die Verknüpfung von Terrorismus- und Geschlechterdiskurs besonders überzeugend gelingt: Der Straftatbestand der Entführungen wandelte sich von etwas Schambehaftetem, Privatem in den 1950er Jahren in ein geschlechterneutrales Offizialdelikt 1981, indem man ihn aufgrund der terroristischen Entführungen von der Notzucht entkoppelte. Das Kapitel lässt, auch aufgrund der etwas disparaten Einzelbeispiele, bisweilen Widersprüche stehen, trotz theoretisch stringent untermauerten Analysen, was beim Leser Verwirrung erzeugen kann. Auch werden Analogien wie die zwischen dem «Unkontrollierbaren» bei Sprengstoffattentaten und dem

«Sexualakt bzw. Orgasmus» (S. 135f.) gebildet, aber nicht vertieft. Eine strukturiertere Titelhierarchie hätte zudem der Leserin eine Orientierungshilfe gegeben. Etwas ratlos macht, wenn – wie beim Untertitel «Privatisierung» – das Thema im Text kaum angesprochen wird. Das vierte Kapitel widmet sich dem Thema «(Selbst-)Stilisierung der Terroristinnen». Während im fünften Kapitel die bundesrätliche und parlamentarische Sicherheitspolitik bezüglich des Terrorismus in den Blick genommen wird, behandelt das sechste Kapitel die «polizeiliche Observations- und Dokumentationspraxis ». Das siebte Kapitel geht auf Wortmeldungen besorgter BürgerInnen ein und zeigt das Ineinandergreifen von institutionellem, medialem und zivilem Terrorismusdiskurs. Insbesondere «selbsternannte Staatsschützer rechtsbürgerlicher Kreise» strukturierten mit ihren Hinweisen «das ‘Sagbare’ des Terrorismusdiskurses» (S. 272) vor. Für gänzlich in männerbündische Strukturen eingebundene, rechtsbürgerliche Experten spielte die «[f]eministische Kritik an patriarchalen Gesellschaftsstrukturen» (S. 254) in die Hände des Terrorismus. Die Bedrohung durch den Terrorismus wurde mit der Bedrohung durch die Emanzipation in der unabhängigen Frauenfigur der «Superterroristin» (S. 259f.) verknüpft, zu der insbesondere Petra Krause gemacht wurde. Dementsprechend waren besonders «Linke, Lesben und Feministinnen» (S. 269) Inhalt von Wortmeldungen besorgter Bürger an Bundespolizei und Bundesrat. Grisard weist eindrücklich nach, dass sehr unterschiedliche Akteure ähnliche Personengruppen mit entsprechenden Verhaltensweisen des Terrorismus verdächtigten, was «[…] auf die Macht bestehender Wissenskategorien hin[deutet]» (S. 270).

Im Schlussteil des Buches zeigt Grisard, dass die «Terroristin» symbolisch an die Stelle kommunistischer, anarchistischer, fremder und weiblicher Bedrohung rückte und durch diese «Andersmarkierung» die eigenen Werte betont wurden. Da Staatsbürgerschaft mit Männlichkeit verknüpft war, versuchten Staatsmänner die Politik vor der Bedrohung durch die Frau mit einer «Reaffirmierung des männerbündischen Organisationsprinzips» (S. 284) zu schützen. Die Zumutungen des Terrorismus für das männliche «staatsbürgerliche Subjekt» erfolgten daher durch die Instrumentalisierung des Geschlechtercodes durch Terroristinnen und ihre «Performanz ‘weiblicher Männlichkeit’» (S. 287), die Infragestellung der dominanten Männlichkeit durch junge Terroristen sowie die Bedrohung «hegemonialer Männlichkeit» (S. 288) durch die Sichtbarmachung alternativer Männlichkeitsbilder. Sowohl die institutionelle wie auch die symbolische Ebene, zu denen Grisard in der Einleitung Erkenntnisse in Aussicht stellt, handelt sie im Schlusswort etwas kurz ab. Ausserdem bleibt der versprochene Ausblick leider ganz aus. «Gendering Terror» präsentiert mit der Verknüpfung von Geschlechter- und Terrorismusdiskurs keine direkte Analyse des Terrorismus in der Schweiz. Eher stellt sie einen – über weite Strecken gewinnbringenden – Beitrag dazu dar, wie unter anderem der Terrorismusdiskurs benutzt wurde, um die hegemoniale Geschlechterordnung gegen Bedrohungen zu stärken. Insofern wird die eingangs aufgestellte These, dass das Geschlecht konstitutiv gewesen sei für den Terrorismus, nicht bestätigt. Umgekehrt aber zeigt sie umfassend, dass der Linksterrorismus konstitutiv zur Stärkung der hegemonialen Geschlechterordnung benutzt wurde.

Zitierweise:
Alexandra Locher: Rezension zu: Dominique Grisard: Gendering Terror. Eine Geschlechtergeschichte des Linksterrorismus in der Schweiz. Frankfurt a.M., Campus Verlag, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 162-164.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 162-164.

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